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Fresse halten, im Hintergrund bleiben: Ein Konzertabend mit MCT

„Alles kann schiefgehen, wirklich alles“, sagt er. Das ist das Risiko, das immer bleibt. Es ist 16 Uhr. Mittwoch. Ein lauer Sommertag in Berlin. Scumeck Sabottka wartet in der Zentrale von MCT, einem Fabrikloft im Westen der Stadt, noch auf die Rückmeldung eines Managers, dessen Band er gerne in Deutschland auf Tournee bringen will, dann geht es los. In vier Stunden betreten Arcade Fire die Bühne. Das heißt: Wenn nichts schiefgeht, werden sie das tun.

Die Scanner funktionieren nicht. Ein Musiker wird krank. Das Internet fällt aus. Die Genehmigung des Fire Marshall fehlt. Ein Sturm zieht auf und überschwemmt den Veranstaltungsort.
Bis zum Schluss muss man auf jedes Problem vorbereitet sein.

„Es ist ein verdammt nervenaufreibender Job. Aber nach 30 Jahren Berufserfahrung bin ich ruhig und entspannt“, sagt er. Seit sieben Uhr morgens sind seine Leute am Veranstaltungsort, der Wuhlheide im Südosten der Stadt, und räumen gemeinsam mit den Mitarbeitern aus der Zentrale die letzten bürokratischen und organisatorischen Hindernisse aus dem Weg. Schauen, dass alle Genehmigungen vorhanden sind. Dass die Tourbusse auf den richtigen Parkplätzen stehen. Dass die Frequenzen der Gitarren mit der Bundesnetzagentur abgestimmt sind, damit keine von ihnen den Flugverkehr behindert.

„Mein Telefon klingelt so gut wie nie“, erzählt Scumeck Sabottka stolz. „Und wenn es doch mal ein Problem gibt, will ich keine Schuldzuweisungen, sondern Lösungen.“

Seit acht Jahren ist MCT der Veranstalter der deutschen Konzerte von Arcade Fire. Die Musik habe ihm sofort gefallen, sagt Sabottka. Die ersten Touren fanden vor ein paar hundert Leuten statt. Dann wurden die Hallen größer. Heute Abend spielen Arcade Fire vor 15.000 Menschen in der Wuhlheide open air. Aber auch kleinere Konzerte werden von Sabottka und seinen Mitarbeitern gerne betreut.

MCT hat vor ein paar Monaten auch die Geheimauftritte von Arcade Fire unter dem Namen „The Reflectors“ organisiert. „Ich finde es toll, wenn Bands etwas Unerwartetes machen. Wenn es Symbiosen zwischen Publikum und Musikern gibt“, sagt Sabottka. Das Wichtigste in diesem Geschäft ist es, die Nachfrage richtig einzuschätzen. Nichts ist schlimmer als halb leere Hallen. Schlangen, ausverkaufte Spielorte, Zusatzkonzerte dagegen sind gut. Die Zuneigung von Fans steigt und sinkt so unberechenbar wie Aktienkurse.

Berühmte Musiker floppen urplötzlich und ziehen bei ihrer Tour eine Blutspur durch die europäische Veranstalterszene. Andere dagegen ziehen Tausende an, obwohl sie vor ein paar Wochen noch als Geheimtipp galten. Der Veranstalter kann versuchen, sich alle möglichen Informationen zu besorgen, am Ende entscheiden aber immer seine Erfahrung und die Intuition.
Der Vorverkauf für das Konzert in der Wuhlheide hat vor über einem halben Jahr begonnen, 97 Prozent der 15.000 Tickets sind zum jetzigen Zeitpunkt bereits verkauft. MCT hat Plakate drucken lassen, Anzeigen geschaltet, Werbung auf Twitter, Facebook und der eigenen Webseite gemacht. „Wir nehmen alles mit, was man mitnehmen kann“, sagt Sabottka.

Das Büro von MCT ist mit zahlreichen Kunstwerken geschmückt. Eine Mitarbeiterin kümmert sich um deren Archivierung. Im Eingangsbereich projiziert ein Beamer einen Film auf die Wand. Ein Passant klettert über eine Brüstung und springt von einer Brücke in das kalte Wasser des Rheins. Es ist der Künstler Sebastian Stumpf, dessen Performance Sabottka so gut gefallen hat, weil sie ihn an das erinnert, was er und seine Mitarbeiter jeden Tag machen.

Um kurz vor 18 Uhr rollt sein Auto aus der Garage. Ein hypermodernes Spacemobil. Elektrischer Antrieb, superleise. BMW i3. Hintendrauf der Tschernobyl-Gedächtnis-Aufkleber, der so etwas wie das Markenzeichen von MCT geworden ist.

„Jetzt fahren wir die Ernte ein“, sagt Sabottka und biegt ab auf die Stadtautobahn in Richtung Osten. In manchen Jahren veranstaltet MCT 200 Konzerte, in manchen sind es dagegen nur 60 oder 100. „Es geht aber nicht darum, möglichst viele Shows, sondern möglichst gute Shows auf die Bühne zu bringen“, sagt Sabottka. Der Wagen durchquert Treptow-Köpenick. Schrebergärten, Wohnblocks. Ein verfallenes Fabrikgebäude mit den Dimensionen eines Schlosses, aus dessen Fenstern Birken wachsen. Man müsse kreativ in einem unkreativen Geschäft sein. Den künstlerischen Mythos einer Band nähren und sie in ihrer Entwicklung unterstützen. Die Frage ist: Was würde das Publikum gut finden? Ganz bewusst habe er zum Beispiel vor einiger Zeit Die Antwoord an zwei Abenden hintereinander im Berghain auftreten lassen und sie nicht an einem einzigen Abend in eine größere Location gebracht.

Um zwanzig vor sieben biegt das Auto in die Berliner Wuhlheide ein. MCT hat diesen Veranstaltungsort gewählt, weil er im Gegensatz zur zweiten großen Open-Air-Bühne Berlins nicht an ein monopolistisches Ticketsystem angebunden ist.

„Ick hoffe, ick darf“, ruft Sabottka einem Ordner zu.
„Sie ham ja alles“, antwortet der.
Am Eingang begrüßt ihn seine Mitarbeiterin Asita Sadeghian, seit 15 Jahren ist sie das „Mädchen für alles“ bei den Konzerten von MCT. Sie kümmert sich um die Abendkasse, löst Probleme am Einlass und dirigiert die Pressefotografen während des Auftritts von Arcade Fire.
Die Abendsonne scheint golden auf die Arena. Flugzeuge malen Kondensstreifen in den blassblauen Himmel. Die Besucher strömen in die Wuhlheide, decken sich noch mit Bier und Würstchen ein. Die Crew von MCT hält sich im Hintergrund. Das ist so etwas wie eine Geschäftsphilosophie. „Fresse halten. Keinen auf wichtig machen“, sagt Scumeck Sabottka. Toni Palermo, der hessische Italiener, ein Mann mit einem gewaltigen Brustkorb, ist für die Sicherheit verantwortlich. 206 lokale Ordner passen auf, dass niemand zu Schaden kommt.

Tonis Einschätzung nach sind keine größeren Probleme zu erwarten. Die Besucher seien diskussionsfreudig, aber friedlich. „Kein Krawallpublikum heute“, sagt er. Und die Band sei auch berechenbar. Sie habe ihm mitgeteilt, wie genau der Ablauf der Show ist und wann sie Kontakt mit den Besuchern des Konzertes haben werde. Toni wird im Graben zwischen Bühne und Publikum stehen und dazwischengehen, falls doch etwas passieren sollte. Gerd Hanke, der Buchhalter, steht mit wallenden grauen Haaren im Backstagebereich und erklärt, wie er mathematische Rätsel löst und die Einnahmen jeden Abend nach der Show gerecht verteilt.

Mittlerweile hat die Vorband begonnen zu spielen. Owen Pallett, dramatische Geigenmusik. „Ich find das interessant, gefällt mir“, murmelt Scumeck Sabottka. Er geht nach oben und wirft einen kurzen Blick in die sich füllende Arena. Als lebende Diskokugeln verkleidete Fans laufen vorbei. Knutschende Paare. Biertrinker. In diesem Sonnenlicht sieht jeder irgendwie schön aus. „Heute ist es gut“, sagt er. Scumeck Sabottka erinnert sich an das legendäre Konzert von Radiohead am 11. September 2001 an genau diesem Ort. Zehntausend Menschen. Eine total bedrückte Stimmung. Thom Yorke, der nicht wusste, was er sagen sollte, und fragte: „Wer hat es noch nicht gehört? Alle haben es gehört, oder? Zwei, nein, vier Flugzeuge sind abgestürzt.“

Owen Pallett ist fertig, und es ertönt ein Pfiff. „Hey, Jungs!“, ruft einer. Ein Trupp grimmig dreinblickender Stagehands in schwarzen Klamotten trottet los, baut Equipment ab und Equipment auf. Selten bleibt Scumeck Sabottka bis zum Ende eines Konzerts. „Das Wichtigste an der Show ist der Anfang, die ersten Sekunden und Minuten, da kriege ich jedes Mal Kribbeln“, sagt Sabottka. Es gehe ihm nicht nur darum, sich blicken zu lassen, sondern auch darum, Informationen zu sammeln: Wie ist die Stimmung? Wie ist die Verbindung zwischen Publikum und Band? Er kommt auch bei strömendem Regen, auf dem Southside- und dem Hurricane-Festival, bei denen MCT Mitveranstalter ist, läuft er in Ölzeug herum und versucht herauszufinden, ob alles so läuft, wie er sich das vorgestellt hat. Pünktlich um Viertel nach acht betreten Arcade Fire die Bühne, ein Mann in einem Glitzerkostüm kündigt die Band an. Sie spielen die ersten Takte von „Reflektor“, die Spannung entlädt sich, Jubel brandet auf. „Unbezahlbar“, sagt Sabottka. Es läuft mal wieder alles wie geplant.

Eine Stunde lang steht er an der Seite der Arena, gelassen und konzentriert, hört sich das Konzert an. Dann kehrt er in den Backstagebereich zurück. Spricht ein paar Worte mit seinem Tourneeleiter Hartmut Ender, der gerade mit der Polizei über Parkverbote verhandelt, und läuft Scott Rodger, dem Manager von Arcade Fire, über den Weg. „Tolles Konzert heute“, sagt der. Die Band lasse übrigens ausrichten, dass sie es gestern in Dresden auch super fand.
  
Sonst bekomme man nur wenig Feedback von den Bands, erzählt Sabottka. „Das Geschäft ist sehr kontaktarm. Wir sind ja nur der Promoter, aber ich beschwere mich nicht. Ich bin gerne Veranstalter, weil ich ohne Musik nicht leben kann.“

Er steigt in sein Elektromobil. Der Sound der Band und das Jubeln des Publikums verebben im Hintergrund. Fast lautlos fährt er im Sonnenuntergang nach Hause. 

Dokumentarfilm
Der Konzertdealer